Reise- & Erlebnisblog mit Fokus
„Ich gedenke an die früheren Zeiten. Ich sinne nach über all’ deine Taten und spreche von den Werken deiner Hände.“ - Psalm 143,5 -
Heute möchte ich euch von einer meiner Studiums-Reisen erzählen. Es ist die erste, die ich allein unternommen habe. Ursprünglich war sie die Idee meines Vaters. Ich war nach meinem ersten Semester an der Uni sehr unmotiviert und frustriert, also dachte er, es würde mich aufmuntern, wenn ich Israel noch einmal besuchen würde – das Land, für das ich überhaupt studierte. Zuerst wollte ich nicht hin. Ich hatte Angst, dass mein Heimweh noch schlimmer werden würde. Aber wisst ihr was? Heute bin ich sooo froh, dass ich gegangen bin! Es hat mir gezeigt, dass Gott im Unerwarteten zu finden ist, dass er sich um uns kümmert, wenn es sonst niemand kann, und dass er es einfach liebt, uns mit ermutigenden Geschenken zu überhäufen! Die Geschichte, die ich euch erzählen möchte, begann am vierten Tag meiner Reise. Ich war gerade von ein paar Tagen bei meiner Gastfamilie im Norden zurückgekehrt und stand nun an einem der größten Bahnhöfe Tel Avivs und versuchte, die hebräischen Hinweisschilder zu lesen. Mein heutiges Ziel war irgendwo in der Nähe des alten Busbahnhofs. Ich sollte Tabea Oppliger von „Kite Pride“ treffen, einer Organisation, die Frauen mit einem Hintergrund in Prostitution und Menschenhandel eine echte Jobalternative sowie die nötige seelische Betreuung bietet.
Bei „Kite Pride“ nähten sie recycelte Taschen aus alten Kitesurfsegeln und verkauften sie online. Eine wirklich gelungene Idee in einer Stadt mit so vielen Surfern! Die Idee, Tabea zu interviewen, kam mir letztes Weihnachten, als meine Tante mir ein Buch über „Kite Pride“ schenkte. Das Thema Zwangsprostitution hatte mich schon immer sehr berührt, und ich war Teil einer Gebetsgruppe in meiner Studienstadt, in der wir regelmäßig dagegen beteten. Hinzu kam, dass ich um Weihnachten herum plötzlich Zweifel an Gottes Plänen für mich hatte. Völlig aus heiterem Himmel begann ich mich zu fragen, ob ich ihn in Bezug auf Israel und all die soziale Arbeit, die ich machen wollte, richtig verstanden hatte. Sollte ich wirklich noch einmal für längere Zeit nach Israel gehen? Und wenn ja, was sollte ich dort tun? Wo sollte ich anfangen, und überhaupt, was sollte ich anfangen? Ich wusste nicht mehr, warum er mich dort haben wollte und wofür… Da kam das Geschenk meiner Tante gerade richtig! In diesem Buch ging um einen Bereich der sozialen Arbeit, der mich sehr bewegte, und um eine deutschsprachige Frau, die in Israel lebt und arbeitet! Das war für mich wie ein liebevoller Wink Gottes, der mir die Richtung meines Weges bestätigte. Ich habe das Buch in einer Nacht durchgelesen ;)…
Danach schrieb ich Tabea über Instagram und bat sie um ein Interview. Ich wollte herausfinden, ob das ein weiterer Hinweis Gottes gewesen war, der mir sagte wo genau ich hingehen sollte, oder ob er nur die Ähnlichkeit unserer Berufungen genutzt hatte, um mich zu ermutigen. Zu meiner großen Freude antwortete Tabea direkt und lud mich ein, in ihrem Laden und ihrer Fabrik vorbeizuschauen.
Es war eine super coole Erfahrung! Die Möglichkeit, die Person kennenzulernen, über die ich gerade ein Buch gelesen habe, war schon heftig. Sie nahm sich viel Zeit für mich, war sehr nett, beantwortete alle meine Fragen, gab mir ein paar zusätzliche Tipps, stellte mich ihrem Team vor und führte mich durch die Räumlichkeiten.
Nach dem Gespräch mit ihr saß ich an einer kleinen Bushaltestelle. Ich war voller Eindrücke und wollte alles aufschreiben, was sie mir erzählt hatte, jetzt, wo es noch so frisch in meinem Gedächtnis war. Ich holte mein Handy heraus und begann ein neues Dokument. Ich war gerade am Ende meines Textes angekommen und froh, dass ich mich an so viele Details erinnert hatte, als mein Handy plötzlich den Geist aufgab. Oh neeeein! Ich hatte das Dokument doch noch gar nicht gespeichert! Ich startete das Handy neu – was überraschenderweise sofort funktionierte – und begann das Dokument von vorne. Das Ganze war echt ärgerlich, weil ich es eigentlich eilig hatte.
Ich war heute nämlich auch noch an einen anderen Ort eingeladen, den „Red Carpet“. Eine Sozialarbeitsstelle, die sich ebenfalls mit den Themen Prostitution und Menschenhandel beschäftigt. Im Gegensatz zu Tabeas Firma ist es allerdings mehr ein Center für Frauen, die immer noch in der Prostitution gefangen sind. Ein Ort, an dem diese Frauen sich ausruhen, duschen, kostenlos essen, kostenlose Kleidung finden und sich auf Wunsch auch Haare und Nägel machen lassen können. Das Ziel dieses Centers ist es, diesen Frauen echte Liebe zu zeigen. Durch das Nägel und Haare machen wollen sie ihnen ein wenig Würde zurückgeben, und ganz generell wollen sie ihnen einen Ort bieten, an dem sie Menschen treffen können, die ihnen auf Wunsch aus ihrer Situation heraushelfen können. Das klang wie eine echt tolle Ergänzung zu dem Ort, an dem ich gerade gewesen war, denn es würde mir die praktische und ungeschönte Seite dieses Themas zeigen. Ich hatte mit der Leiterin des Zentrums, einer Frau namens Anat, geschrieben und wollte nichts von den kurzen Öffnungszeiten des Centers verpassen. Aber ich wollte auch nicht vergessen, was Tabea mir gerade erzählt hatte! Also beschloss ich, noch etwas auf der Bank an der Bushaltestelle zu bleiben und versuchte, mich mit dem Schreiben zu beeilen. Rückblickend bin ich überzeugt, dass Gott mein Handy abstürzen lassen hatte, weil er mich noch ein bisschen länger an dieser Bushaltestelle halten musste…
Ich war wieder kurz vor dem Fertigstellen meiner Notizen, als sich eine ältere Frau neben mich setzte. Sie hatte kurze, rote Haare, trug einen bunten Mix aus Secondhand-Kleidung und snackte eine Tüte dampfend heiße Falaffel. „At medaberet Ivrit?“ – „Sprichst du Hebräisch?“, fragte sie mich. „Lo, rak k’zat. At medaberet Anglit?“ – „Nein, nur ein bisschen. Sprichst du Englisch?“ Zum Glück tat sie es. Also wechselten wir die Sprache, und sie bot mir von ihren Falaffel an. Das war sehr süß, fand ich! Und die Falaffel waren wirklich gut! ;)
Diese Frau – nennen wir sie Moriah* – fing an, mir von sich zu erzählen. Wie sehr sie Hühnchen über jedes andere Fleisch und Essen liebte, dass Grün ihre Glücksfarbe sei und wie sie auf den Rückruf ihres Sohnes warte, aber ihr Telefon nie funktionierte. Ich spürte das es wichtig war, bei ihr zu bleiben und ihr zuzuhören. Es schien, als würde sie es brauchen. Als sie mir gerade erzählte, wie sie ihren Kaffee am liebsten mag, fiel ihr ein, dass sie noch welchen zu Hause hatte, und fragte mich, ob ich mitkommen und einen Kaffee mit ihr trinken wollte. Da ich um die Gefahren des alleine reisens wusste und spezielle Vorsicht geboten war, wenn eine fremde Person zu sich nach Hause einlud, fragte ich schnell den Heiligen Geist, was er davon hielt. Er gab mir ein klares „Go“, und so machten wir uns auf den Weg zu ihr. Zu meiner Überraschung wohnte Moriah nur zehn Schritte hinter der Bushaltestelle. Im wahrsten Sinne des Wortes! Sie konnte nicht mehr so gut laufen, also brauchten wir trotzdem eine ganze Weile bis wir dort ankamen. Der Eingang war ein großes Tor, das wir zur Seite schieben mussten. Dahinter befand sich so etwas wie ein schmutziger Hinterhof. Es war ein kleiner Korridor zwischen zwei Häusern, und auf der linken Seite befanden sich drei oder vier Türen nebeneinander in der Mauer. Moriah öffnete eine davon mit ihrem Schlüssel und führte mich hinein.
Ich war schockiert! Das hatte ich definitiv nicht erwartet! Es war nur ein einziger, kleiner, dunkler Raum, der gerade genug Platz für ein Bett, einen Herd, einen Schrank und eine Tür bot, die zu einem noch kleineren Toilettenbereich führte. Es gab kaum Platz zum Laufen. Nach zwei Schritten war man schon beim Bett, und von dort bis zur Küche war es nur noch eine Armlänge. Vielleicht zwei. Ich bekam nun eine Vorstellung davon, was für ein Leben Moriah früher geführt haben musste und heute noch immer führte... Während sie mir fröhlich einen Nescafé machte – und sich selbst einen mit „viel viel“ Milch ;) –, saß ich auf dem Bett, bemerkte den üblen Geruch, sah allerlei Dreck auf dem Boden und einen Haufen uralter Klamotten in Müllsäcken auf dem Schrank. Sie servierte mir den Kaffee in einem Pappbecher. Als ich mir ihre Situation so ansah, erkannte ich plötzlich, wie wertvoll es war, dass sie die Falaffel mit mir geteilt hatte. Und jetzt machte sie mir sogar Kaffee! Während wir auf ihrem Bett saßen und unsere Getränke tranken, erzählte sie noch ein bisschen mehr von sich: Sie erzählte mir, dass sie alle Lieder im Radio kennt, wie sehr sie das Rauchen liebt und wie sehr sie Männer hasst. „Alle Männer sind ‚charah‘! (Hebräisch für ‚Sch***‘) – Die wollen mich immer alle anfassen!“, sagte sie mit ihrem hebräischen Akzent. Das ließ mich plötzlich aufhorchen! Alle Männer wollen sie anfassen…? Konnte es sein, dass…? Doch bevor ich meinen Gedanken zu Ende denken konnte, hatte sie schon das Thema gewechselt und erzählte mir von einer Frau namens Anat, die ihr immer die Nägel machte, und dass sie sie heute noch besuchen möchte.
Das war doch verrückt! Anat? War das nicht der Name der Frau, mit der ich geschrieben hatte? Und boten sie in ihrem Center „Red Carpet“ nicht auch das Nägel machen an? Überzeugt, dass sie dieselbe Person meinte, erzählte ich Moriah, dass ich heute auch vorhatte, Anat zu besuchen, und ob wir nicht zusammen hingehen wollten. Das war wirklich Besonders! Moriah wusste, welchen Bus wir nehmen und welche Straßen wir einschlagen mussten, und so kamen wir trotz langsamen Gehens blitzschnell beim „Red Carpet“ an. Meine Vermutung war richtig: Moriah war eine der Stammgäste des Centers und kannte alle Mitarbeiter. Soweit ich verstand, war sie aktuell nicht mehr in der Prostitution, aber hatte früher sehr lange darin gelebt. Das Trauma, der Drogenkonsum, einige Krankheiten und ihr Alter hatten zu einer gewissen Verwirrung geführt, die gerade auch in ihrem Sprechen zu rasanten Themenwechseln und ständigen Wiederholungen führten. Im Gespräch mit den Mitarbeitern erfuhr ich, dass der Anruf ihres Sohnes, auf den sie so lange schon wartete, wohl etwas aus ihrer Vergangenheit sein musste. Auf diesen Anruf wartete sie nämlich schon seit ihrem ersten Besuch hier im Center vor einigen Jahren.
Moriahs Situation machte mich einerseits unerträglich traurig, aber andererseits erfüllte sie mich auch mit Hoffnung. Moriah zuerst in ihrem Zimmer zu Hause zu sehen, und jetzt in diesem Center, machte mir klar, wie viel Licht ein solcher Ort in das Leben eines Menschen bringen kann! Die Mitarbeiter unterhielten sich mit ihr, fragten sie nach ihrem Tag, halfen ihr mit ihrem Telefon (das eigentlich nie kaputt war) und versuchten immer, sie zum Lachen zu bringen. Sie achteten darauf, wann immer möglich Hühnchen in den Mahlzeiten zu haben, und legten grüne Kleidung extra für sie zur Seite. Ihre Lieblingsnagellacke standen griffbereit im Schrank, und es gab immer genug Milch, damit sie sich ihren Lieblingskaffee zubereiten konnte.
An diesem Tag bekam ich einen sehr guten Einblick in die Arbeit von „Red Carpet“ und traf noch viele andere Frauen, die dort echte Fürsorge erlebten. Seitdem bin ich bei jedem Besuch in Israel an diesen Ort zurückgekehrt. Ich habe bei der Essensausgabe geholfen, mit den Frauen Schmuck gebastelt und viele Gespräche mit ihnen geführt. Ich habe aber auch verrückte Dinge erlebt und musste manchmal angesichts drohender Gewalt die Ruhe bewahren. In diesem Sinne war also das Buch, das mir meine Patentante geschenkt hatte, definitiv ein Motivationsgeber und auch ein mehr oder weniger konkreter Hinweis Gottes gewesen! :) Und bei jedem Besuch im „Red Carpet“ habe ich auch Moriah wiedergesehen, die sich – zu meiner Überraschung – jedes Mal an mich erinnerte :)
*Name geändert
Kite Pride: www.kitepride.com, @kitepride_tlv
Red Carpet: www.abundantlife.org.il/red-carpet/
30.03.2025
"Durch Glauben baute Noah, als er eine göttliche Weisung über das, was noch nicht zu sehen
war, empfangen hatte, von Furcht bewegt, eine Arche, zur Rettung seines Hauses."
Hebräer 11,7
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